Klimawandel in Mühltal – Zukunft für unsere Kinder

Eine Ansicht von Nieder-Beerbach in der Zukunft, nach Veränderungen durch den Klimawandel.
So könnte es bei uns aussehen, wenn unsere Kinder groß sind.

von Magdalena Böttger, 2019

Mein Sohn Fredy ist jetzt 4 Jahre alt. Seine Uroma hat uns oft von ihren 94 Jahren in Nieder-Beerbach erzählt. Geschichten aus einer Welt, die wir heute nicht mehr kennen.

Als Kind ist sie den ganzen Winter in Nieder-Beerbach Schlitten gefahren. Weil es noch kaum Autos gab. Und weil es noch wochen- und monatelang Schnee gab. Sie erzählte uns auch, dass früher jeder Quadratmeter landwirtschaftlich genutzt wurde. Heute sind viele dieser Flächen wieder verwaldet.

Auf welche Veränderungen wird Fredy zurückschauen, wenn er so alt wird, wie seine Uroma? Versuchen wir einen Blick in die Zukunft. (Dabei betrachten wir hier nur die Auswirkungen des Klimawandels, aber nicht des technischen Fortschritts.)


Wenn Fredy 14 Jahre alt ist,

wird die Anzahl der Hitzetage noch weiter gestiegen sein. Ein Sommer wie 2018 mit 50 Tagen über 30° ist dann ein durchschnittlicher Sommer. Die Hitzewellen werden intensiver. Klimaanlagen von Autos und Wohnungen pusten ihre Abwärme auf die Straße. Fredy hat dann keine Lust, mit Freunden raus zu gehen. Die Straßen werden im Sommer noch leerer. Die CO2-Steuer wird wirksam. Viele Autos und Räder fahren jetzt elektrisch. Es fahren wieder mehr Busse.

Was wir heute tun können
CO2 sparen im Verkehr
eAuto-Lademöglichkeiten, mehr ÖPNV, Schnellbuslinien, Wasserstofftankstelle, Radwege-Verbindungen zwischen den Ortsteilen, Co-Working …
Auf Hitzewellen vorbereiten
Kühle öffentliche Orte schaffen, Spielplätze mit Bäumen verschatten, Wasser-Management…

Wenn Fredy 24 Jahre alt ist,

studiert er vielleicht in Darmstadt und wohnt noch zu Hause. Wenn er im Wald spazieren geht, sieht er nicht mehr den gesunden, dichten Buchenwald. Lange Dürrezeiten haben viele Bäume absterben lassen, Schädlingsepidemien, Stürme und Waldbrände haben großen Schaden angerichtet. Die Einwohnerzahl wächst, weil es in anderen Gegenden viel schlimmer ist. Überall im Ort werden Kellerwohnungen ausgebaut und vermietet.

Was wir heute tun können
Den Wald auf Trockenzeiten vorbereiten
Artenvielfalt durch Anpflanzen trockenheitsresistente Baumarten erhöhen, Brandschutzschneisen, in Siedlungsnähe Totholz entfernen…

Wenn Fredy 34 Jahre alt ist,

will er vielleicht eine Familie gründen. Kindergeld gibt es nur noch für das erste Kind, denn die weltweite Bevölkerung soll nicht weiter wachsen. Ein-Kind-Familien sind Normalität.
In unserem Haus haben wir inzwischen Solarzellen auf dem Dach, eine Hausbatterie und große Zisternen. Lebensmittel sind teurer geworden, selbst zu Gärtnern lohnt sich wieder. Fredy baut viele verschiedene Sorten an, denn man weiß nie, was durch Spätfrost, Dürre, verregnete Sommer oder Schädlinge ausfällt. Sogar Oliven kann er ernten.

Was wir heute tun können
Eine Dorfgemeinschaft aus Einzelkindern vorstellen
Vielfältige Kinder-Begegnungs-Orte schaffen, über Vereine, Spielplätze… aber auch gegenseitige Unterstützung durch Gemeinschaft und Ehrenamt stärken.
Nachhaltig Bauen und Sanieren
Neubaugebiete nur mit Plus-Energie-Standard, Regenwassernutzung,
emmissionsarme Altbausanierung fördern, Musterhaus zum Besichtigen, Beratung zu Förderprogrammen…

Wenn Fredy 44 Jahre alt ist,

ist der Meeresspiegel bereits um einen Meter gestiegen. Die niedrig gelegenen Teile von Hamburg und Bremen sind nicht mehr bewohnbar. Felder an der Nord- und Ostseeküste versalzen weit ins Land hinein. In vielen Ländern herrschen Krieg und Konflikte. Noch mehr Menschen aus Deutschland und der Welt ziehen nach Mühltal. Grundstücks- und Wohnungspreise steigen, sodass mehr Menschen auf kleinem Raum zusammenleben müssen. Lebensmittel und Mobilität werden noch teurer. Dienstleistungen werden aber günstiger. Fredy beschäftigt einen Gärtner, eine Hausangestellte und einen Wachmann, alle zugewandert.

Was wir heute tun können
Zuwanderung für uns positiv gestalten
Aktive Integration via Bildung, Vereine, Patenprogramme…

Wenn Fredy 54 Jahre alt ist,

hat sich das Weltklima schon um 3° erwärmt. Große Flüsse wie Rhein und Elbe trocknen in manchen Sommern fast aus, in anderen Jahren gibt es zerstörerische Überschwemmungen. Große Regionen in Australien, Amerika und Afrika werden unbewohnbar, weil die Temperaturen wochenlang über 50° steigen. Auch in Mühltal werden die Sommer noch heißer und trockener, doch im Vergleich zum Rest der Welt ist es hier noch paradiesisch. Aus Koppeln und Streuobstwiesen werden Nutzgärten mit großen Gewächshäusern


Was wir heute tun können
Wissen über Gartenbau lebendig halten
Nachbarschaftsgärten gründen; für Baugebiete wohnortnahe Selbstversorgergärten bedenken; Erfahrungswissen über Bewässerungsfeldbau, Permakultur und Erosionsschutz aufbauen.

Wenn Fredy 64 Jahre alt ist,

leben in Mühltal 70.000 Menschen. Viele davon in illegal errichteten Hütten auf besetztem Land. Felder und Obstbäume werden geplündert, Solaranlagen gestohlen. Die Polizei kommt nicht mehr hinterher. Fredy wählt eine Partei, die für Polizeigewalt und Überwachung wirbt. In Mühltal prägen Stacheldrahtzäune und Überwachungskameras das Bild.

Was wir heute tun können
Sozialen Konflikten vorbeugen
Wohnungsbau (zukünftig auch mehr sozialem Wohnungsbau) Raum geben. Solidarische Wirtschaftsformen zB Genossenschaften oder Umsonstläden förden. Armen den sozialen Aufstieg ermöglichen.

Wenn Fredy 74 Jahre alt ist,

ist an Rente nicht zu denken. Die Rentenkasse gibt es zwar noch, aber seine Rentenansprüche sind mit der letzten Inflation und Währungsreform wertlos geworden. Er lebt von Miete und Pacht auf seinem geerbten Land. Durch eigene Landwirtschaft und Energieerzeugung ist sein Haushalt selbstversorgend. Doch seinen alten Schulfreunden, die keinen Haus- und Grundbesitz haben, geht es schlecht.

Was wir heute tun können
Sich nicht nur auf Bund und EU verlassen
Selbstverwaltung, lokaler Zusammenhalt, eigene Lösungen finden für die Situationen vor Ort…

Wenn Fredy 84 Jahre alt ist,

hat sich das Weltklima um 4° erwärmt. Grönland ist fast eisfrei, Teile des antarktischen Eises sind ins Meer gerutscht. Der Meeresspiegel ist um 3 Meter gestiegen. Hamburg wurde aufgegeben, ebenso viele Gegenden in Brandenburg. Deutschland gehört trotzdem noch zu den Gewinnern des Klimawandels, im Vergleich zu anderen Ländern.

Ziel ist, autark zu sein und Lebensmittel-Überschuss zu erwirtschaften. Aber in vielen Jahren klappt das aufgrund des extremen Wetters nicht. Nahrungsmittel werden rationiert.

Ausblick
Produktive Landwirtschaft
Heute lohnt sich der Landwirtschaft bei uns kaum. Durch billige Importe und hohe Lohnkosten ist derzeit selbst die mechanisierte Landwirtschaft meist nur mit Subventionen machbar. In der Zukunft könnte es aber so aussehen, dass im großen Stil zB Kartoffeln, Weizen und Mais angebaut werden. In kleineren, wohnortnahen Gärten zB Tomaten, Bohnen und Möhren, weil diese mehr Handarbeit erfordern. Zum Schutz gegen extremes Wetter wird mehr unter Glas angebaut werden. Vielleicht sehen wir dann in Mühltal ganze Hänge, die mit Reihen von Gewächshäusern bedeckt sind. Oder mit Orangenbäumen.

Wenn Fredy 94 Jahre alt ist,

erzählt er seiner Urenkelin von früher. Wie er mit einem benzinangetriebenen Auto zum Kindergarten gefahren wurde. Wie man jeden Tag Fleisch essen konnte. Wie sein Opa spontan aus Brasilien zu Besuch gekommen ist.

Die kleine Emilie kann es sich kaum vorstellen.

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